Weiter nach links. Stopp, zu weit, wieder etwas nach rechts. Jetzt die Hände etwas höher. Ja, und ankippen. So, so ankippen. Auch wenn ich die Sprachen, die hier am schiefen Turm von Pisa gesprochen werde, nicht alle verstehe, so ist doch klar, was gesagt wird. Alle wollen es haben: Das Foto, auf dem es so aussieht, als würden sie sich gegen den berühmten Turm lehnen, ihn festhalten oder wegdrücken. So tummeln sich die meisten Touristen auf der frischen grünen Rasenfläche vor dem weißen Turm – auch wenn die Absperrung die Besucher bittet, die Grünfläche nicht zu betreten. Keiner hält sich dran.

Vielleicht ist der Turm mit seinen hübschen Bögen und Säulen einer der berühmtesten Gebäude in Italien. Vielleicht ist es abgedroschen, hierher zu fahren. Ich möchte ihn trotzdem sehen, und so geht es mit dem Zug in die Studentenstadt am Arno. Es gibt zwei Bahnhöfe: Centrale und Rossore. Bei ersterem bietet sich ein Spaziergang durch die Innenstadt an, bei letzterem sind die Hauptattraktionen, der schiefe Turm und die Kathedrale, näher.

Pisa und der schiefe Turm

Die Innenstadt der rund 91.000 großen Einwohnerstadt ist sehenswert. Die typischen Gassen, Häuser mit Fensterläden und hübsche Plätze wie den Piazza die Cavalieri, die Uferpromenade am Arno. Bevor ich all das genießen kann, ist mein Ziel jedoch dasselbe wie das der anderen Touristen: der schiefe Turm, für den die Stadt so berühmt ist.

Das erste, was wir sehen, ist die Spitze des weißen Turms. Die vielen runden Bögen, die schweren Glocken hoch oben und Besucher, die auf dem Rundweg die Aussicht auf die Stadt und die nahegelegene Bergkette genießen. Die rote Fahne mit dem weißen Kreuz auf dem Turm hat einige Mühe, im Wind zu wehen – es ist wieder heiß und schwül, kaum ein Lüftchen ist unterwegs. Neben den dichten grünen Bäumen, Zypressen und dem Baukran, der vor dem Platz ungenutzt abgestellt steht, wirkt der Turm riesig. Er überragt auch das weiße Kuppeldach des benachbarten Baptisteriums. Dabei misst der berühmte Turm offiziell knapp 60 Meter. Im Vergleich: Der Eifelturm in Paris ist 300 Meter hoch.

Auf dem satten Grün vor dem schiefen Touristenmagnet, auf dem wie bereits erwähnt das Betreten untersagt ist, tummeln sich die Touristen. Sie alle posieren, wollen das berühmte Foto, auf dem es so aussieht, als würden sie sich gegen die schiefe Seitenfassade lehnen. Einen Moment ist es ganz witzig, den Touristen zuzusehen, wie sie ihre Mitreisenden in die richtige Position dirigieren.
Auf der Piazza del Duomo ist schließlich noch mehr zu sehen. Mich interessieren die Kathedrale und das runde, schon von außen imposante Baptisterium gegenüber. Die Tickets hierfür gibt es wie für alle Sehenswürdigkeiten am Domplatz zentral im Ticketcenter. Hier lassen sich die Eintritte jeweils kombinieren. Möchte man auch die Museen besuchen? Auf den schiefen Turm steigen? Für fünf Euro (Stand September 2018) erwerbe ich das Eintrittsticket für Kathedrale und Baptisterium.

Imposante Kathedrale von Pisa

Vor der riesigen Kirche ist ebenso wenig los wie beim Ticketcenter. Mein Ticket wird gescannt, ein Blick auf meine Kleidung (wer Schulterfrei am Eingang auftaucht, bekommt einen hellblauen Einmal-Umhang; schließlich ist es ein religiöser Ort), wenige Minuten später treten wir in das eindrucksvolle Gotteshaus. Wirklich eindrucksvoll! Ich habe mir schon so einige Kirchen, Kathedralen, Dome besucht, aber alleine der Blick an die Decke der Kathedrale in Pisa lässt mich staunen. Quadratisch angeordnet leuchtet sie golden auf uns herab. Kleine Figuren, verschnörkelte Bögen, Blumen, alles golden, dazwischen edles Blau. Die Kassettendecke, so entnehme ich meinem Reiseführer, ist allerdings „erst“ im 17. Jahrhundert eingezogen worden, nachdem ein Brand vieles im Innern zerstört hatte. Erbaut wurde die Kathedrale bereits im 11. und 12. Jahrhundert. So ganz genaue Daten geben die Aufzeichnungen leider nicht her.

Ich bleibe Mitten in der Kirche stehen, lege den Kopf weit in den Nacken und betrachte das Gold, die weißen Rundbögen darunter, die Säulen aus edlem Marmor. Was für kleine Lichter wir doch sind, überlege ich in Anbetracht dieses Bauwerks. Das hat nichts mit Religion zu tun, nichts mit Glauben. Es ist die Hochachtung für die Genialität dieser Bauleistung; in ihrer Dimension, in ihren kleinen feinen Details, in ihrer Langlebigkeit. Wieso konnten unsere Vorfahren vor hunderten von Jahren solche Meisterwerke erschaffen, die bis heute überdauern – sicher mit der ein oder anderen Restaurierungsarbeit – und unsere heutige Generation baut Brücken oder Autobahnen, die schon nach wenigen Jahren oder Jahrzehnten schon wieder baubrüchig sind und abgerissen werden müssen? Sie hatten keine ausgeklügelten Computerprogramme, die dreidimensionale Animationen bauten, keine riesigen Kräne, dennoch bauten sie solche Kathedralen, vor und in denen wir auch heute noch stehen können und sie bestaunen.

Die Sonne scheint gegen die gelben Vorhänge an den oberen Fenstern und  verleiht den Gemälden einen goldenen Schimmer. Auch sie sind beeindruckend. Wie lange hat ein Maler an nur einem dieser riesigen Kunstwerke gearbeitet? In den Nischen und abgeteilten Bereichen finden sich weitere Gemälde, Mosaike, Fresken und Schnitzereien. Bei einem einzigen Besuch ist es kaum möglich, all die Schönheiten, die feinen Einzelheiten und Details zu erfassen. Dennoch solltest du dir genug Zeit einräumen, das Bauwerk auf dich wirken zu lassen. Während wir auf einer der großen Bänke sitzen und unsere Blicke umherschweifen, versuchen eben doch so viel wie möglich an kunstvoller Schönheit aufzunehmen, ertönt die Orgel für eine Probe. Ein wenig blechern im Vergleich zu anderen Orgeln, zugegeben, dennoch verleiht die tragende Melodie dem Ganzen eine besondere Stimmung.

Ein Echo mit Gänsehaut: im Baptisterium von Pisa

Gegen die Kathedrale wirkt das gegenüberliegende Baptisterium schlicht, geradezu kahl, was – vielleicht gerade wegen dem Kontrast – beeindruckend ist. Hohe Säulen, ein achteckiges Taufbecken direkt in der Mitte des runden Gebäudes. Alles wirkt so gerade und aufgeräumt, sauber und hat rein gar nichts von dem Shabby Chic, den man sonst in der Toskana vorfindet. Über einige Stufen gelangen wir auf die Empore und können das perfekt aufeinander abgestimmte Ensemble von oben betrachten.

Plötzlich geht ein Mann in die Mitte des Baptisteriums, stellt sich neben das Taufbecken. Er stimmt einen langgezogenen Ton an und das sagenhafte Echo lässt den Ton im ganzen Raum wiederhallen. Weitere Töne folgen und auf einmal klingt es, als würde in der Mitte des Raumes nicht ein, sondern mehrere Männer singen. Nur wenige Minuten dauert das Schauspiel. Aber es unheimlich beeindruckend. Gänsehautmoment.
Das Gebäude, so erfahre ich später, ist zylinderförmig gebaut und sorgt so für dieses atemberaubende Echo.

Neue Perspektiven: Spaziergang entlang der früheren Stadtmauer

Kurz hinter dem Baptisterium ist einer der Aufstiege auf die ehemalige Stadtmauer. Drei Euro kostet der Eintritt für einen Erwachsenen (Stand September 2018), dafür bietet sich hier ein toller Ausblick auf den Domplatz, der auch als Platz der Wunder bezeichnet wird.

Auf der Mauer sind es einige Kilometer zurück in die Innenstadt und die Restaurantmeile am Arno. Wir laufen und laufen, immer schön in der Mittagshitze. Dafür bekommen wir eine ganz neue Perspektive auf Pisa. Links auf typisch italienische Wohnhäuser, Wäsche zum Trocknen vor den Fenstern, Vorhänge und Fensterläden verschlossen. Grün bepflanzte Balkone und in der Ferne die Apuanischen Alpen.
Rechts so eine Art Hinterhof der berühmten Bauten. Palmen, deren grünen Blätter in der Sonne glänzen. Auch hier Wohnhäuser, wunderhübsche Gärten und Balkone, die zu einer Pause einladen. Schilder und hohe Gitterstäbe sollen die Touristen daran hindern, Fotos zu machen. Ein wenig Privatsphäre für die Bewohner, wenn die Leute schon in ihre Wohnzimmer schauen können.

Ob es nur heute so ist, kann ich nicht sagen, viel los ist auf der Stadtmauer nicht. Zwei Männer, vielleicht so Mitte 20, offenbar ebenfalls Touristen, überholen uns. Ansonsten spazieren wir unbehelligt den Weg entlang. Je mehr Meter wir zurücklassen, desto schleichender wird unser Schritt. Unter einer kleinen Überdachung treffen wir ein britisches Pärchen. Sie haben hier Schutz vor Sonne und Hitze gesucht, verschnaufen kurz bei einem letzten Schluck Wasser. Wir halten einen kurzen Plausch, lachen und weiter geht der Weg. Nach etwa 2,5 Kilometern kommt eine Treppe. Zwei junge Frauen kontrollieren die Karten der Touristen, die ihren Spaziergang auf der Stadtmauer hier beginnen, und geben uns Orientierungshilfe. Am besten, so ihr Rat, nehmen wir den nächsten Abstieg, etwa 500 Meter weiter. Wir folgen dem Rat und gönnen uns, nach so viel Sonne, anschließend ein schattiges Plätzchen und eine Erfrischung 🙂

Einige Impressionen meiner Toskana-Reise findest Du wie gewohnt in meinen Fotowelten/Städte der Toskana. Viel Spaß beim Stöbern.

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