Weit, so weit, als würde es nie enden. So liegt das Wattenmeer vor uns. Hier, direkt vor den grünen Salzwiesen von St. Peter-Ording an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, ist der Meeresboden nicht so matschig und rutschig wie anderenorts. So springen wir unbekümmert drauflos, rennen auf dem festen Sandboden mit den Möwen, Rauchschwalben und Austernfischern um die Wette. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel und der Wind ist an diesem sommerlichen Tag angenehm erfrischend, wenn er auch nur seicht über unsere Haut streichelt.
Heute ist eben ein Tag zum Feiern: Welterbe-Tag. In diesem Jahr am 3. Juni. Bereits zum 14. Mal ruft die Deutsche UNESCO-Kommission und der Verein „UNESCO-Welterbestätten Deutschland“ im Frühsommer den Welterbetag aus, an dem viele Weltnatur- und Weltkulturerbestätten besondere Aktivitäten anbieten. Im UNESCO Weltnaturerbe Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gibt es den ganzen Tag Wattführungen zu den unterschiedlichsten Themen. Morgens um halb neun starten die ersten geführten Ausflüge, um dem Phänomen von Muscheln, Wattwürmern und Krebsen auf die Spur zu kommen.

In der Ferne glitzert das Meer, das sich in seinem natürlichen Wechsel zwischen Ebbe und Flut für die nächsten Stunden zurückgezogen hat, uns in dieser Zeit den Meeresboden überlässt. Muscheln, mal einzeln, mal aufgetürmt zu kleinen weißen Bergen, schmücken den Wattboden, auf dem das Wasser bei seinem Rückzug schwungvolle Bögen gemalt hat.  Durchbrochen wird das galante Muster lediglich von den kringel-artigen Häufchen, die die Wattwürmer bei ihrer unermüdlichen Futterei hinterlassen. Aber diese kleinen Würmer, so lerne ich bei der Wattführung vom Nationalpark Wattenmeer, leisten einen wichtigen Beitrag zum Ökosystem. Mit ihrem Appetit auf  Sand, graben sie fleißig das Wattenmeer um und versorgen es so mit wertvollem Sauerstoff und Nährstoffen, die wiederum das Leben für andere Tiere im Watt ermöglicht.
Für die Kinder in unserer Gruppe ist es ein Heidenspaß, gemeinsam mit der FÖJlerin (Freiwilliges Ökologisches Jahr), die unsere Wattführung leitet, nach den schwarz-bräunlichen Tierchen zu graben – ich hingegen genieße einfach das hier und jetzt, die wärmende Sonne, den leichten Wind und die salzige Luft. Meine Zehen graben sich ein wenig in den sandigen Meeresboden, während meine Gedanken mit den sehr entspannten Möwen in die Ferne ziehen.

Ich bin froh, dass es so wunderschöne Orte auf der Welt gibt. Orte in der Natur, in denen wir entspannen und Kraft tanken können. Aber diese Orte – ebenso wie die wertvollen Kulturstätten – müssen für die Zukunft erhalten und geschützt werden. Daher bin ich ebenfalls froh, dass das Wattenmeer Ende 2009 zum UNESCO-Welterbe ernannt wurde – und hoffe, dass wir noch oft die Schönheit eines weitgehend intakten Wattenmeeres, ob in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, den Niederlanden oder Dänemark, genießen können.

Das etwas nervige Quietschen der aufgebrachten Austernfischer, als würde ein junger Hund nervös auf einem Gummiknochen herum kauen, reißt mich aus meinen Gedanken. Als ich mich suchend umschaue, was den schwarz-weißen Küstenbewohner mit seinem auffallend roten Schnabel so aus der Ruhe bringt, erblicke ich einen Rotschenkel, der in einiger Entfernung zu mir und dem Austernfischer auf einem Stück Salzwiese hockt. Völlig ruhig und gelassen sitzt der Watvogel im Grünen. Er scheint nicht Grund der Aufregung zu sein. Vielleicht ein gefräßiger Nesträuber, der an der Küste sein Unwesen treibt? Oder ein paar neugierige Möwen, die dem Nest des Austernfischerpärchens zu nah gekommen sind? Aus der Ferne werde ich diesem Rätsel ohnehin nicht auf die Spur kommen.
Wir kehren den Watvögeln – natürlich nachdem wir uns bei der FÖJlerin für die spannende Wattführung bedankt haben – den Rücken zu und schlendern durch das sandige Watt. Hier und da platschen unsere Füße durch kleine Pfützen, die meiste Zeit läuft es sich ausgesprochen angenehm auf dem festen Sand. Immer weiter möchte ich laufen, schlendern, bis zum Horizont. Komm, lass uns auf dem Meeresboden tanzen und das Leben genießen! Doch wir müssen die Uhr im Auge behalten – denn das Wasser wird zurückkommen. Und dann sollten wir besser wieder mit beiden Füßen auf der Salzwiese stehen!

Doch zunächst liegen ein breiter Priel und Schlickwatt vor uns. Wie konnte das nur passieren? Sind wir nicht immer geradeaus gelaufen? In der Weite des Watts kann man leicht die Orientierung verlieren. Offenbar haben wir irgendwann einen Bogen geschlagen. Mit ein paar Handgriffen kürze ich den Schultergurt meiner Fototasche auf das Äußerste, mein Kleid ziehe ich bis zur Hüfte hoch und halte den Stoff eng geknotet zusammen – und ab geht es durch den Priel. Im Zweifel ist es ja nur Wasser. Vorsichtig stapfen wir im Gänsemarsch durch diese riesige Pfütze, um nicht zu sagen Teich, wobei es uns schnell bis zur Hüfte reicht, da hilft auch kunstvolles Balancieren auf Zehenspitzen nichts. Hauptsache meine Kamera bleibt trocken! Nach einigen Minuten haben wir die Aufgaben gemeistert, stehen erleichtert und lachend am anderen „Ufer“ und zupfen unsere nassen Kleidungsstücke zurecht. Ach, bei Sonne und Wind werden sie vermutlich schnell trocknen.

Für das Schlickwatt brauchen wir ein wenig mehr Geduld. Der dunkle Matsch quillt zwischen unseren Zehen hervor, mal klebrig, mal verdammt rutschig. Wie auf rohen Eiern bleiern wir durch den schwarzen Morast. Jetzt bloß nicht ausrutschen und ein ungewolltes Schlammbad nehmen! Langsam, dafür stetig kommen wir voran – ganz ohne hinzufallen 🙂

Jetzt haben wir uns ein Picknick verdient! Wir breiten unsere Decken auf der Salzwiese aus und lauschen weiter dem Quietschen der Austernfischer, dem Spielen der Kinder und dem Rauschen des Windes.

Einige Impressionen zum Wattenmeer und der schleswig-holsteinischen Nordsee findest Du in meinen Fotowelten. Viel Spaß beim Stöbern!