Drei, vier, fünf – mehr andere Besucher zähle ich nicht um diese Jahreszeit am Hume Lake inmitten des wunderschönen Sequoia Nationalparks. Anfang April herrscht hier gähnende Leere. Zwar ist es auch im Sommer nicht so überlaufen wie im etwas weiter nördlich gelegenen, weltweit bekannten Yosemite Nationalpark. Aber bevor der Frühling Einzug hält, verirren sich nur wenige Touristen in den Nationalpark, grob zwischen Fresno und dem Death Valley Nationalpark im Westen der USA gelegen. Einige Straßen sind noch nicht wieder freigegeben. Im Winter liegt hier einiges an Schnee, viele Wege sind gesperrt oder nur mit Schneeketten befahrbar. Der Nationalpark ist mein Tipp für die US-Westküste!

Anfang April: letzter Schnee im Sequoia Nationalpark

Bei unserem Besuch sind noch einige Straßen verschneit. Für eine schöne Schneeballschlacht oder einen üppigen Schneemann ist der allerdings viel zu wässrig. Man merkt, dass der Frühling kommt, die Tage länger und wärmer werden. Am Hume Lake scheint die junge Jahreszeit schon ein ganzes Stück weiter zu sein: Das Gras ist grün, die Berge in der Ferne zeichnen sich eher grau als weiß vom Horizont ab, das Wasser schimmert einladend blau, auch wenn es sicher noch eisig kalt ist. Die Boote für kleine Ausflüge über den See stapeln sich am Ufer, spiegeln sich auf der ruhigen Wasseroberfläche, als würde noch ein allerletzter Schleier der Winterruhe auf ihnen liegen.

Blick auf Hume Lake

Hume Lake Sequoia NP

Der kleine Laden neben den Picknickplätzen am See hat zum Glück schon geöffnet; allerdings nur wenige Stunden am Tag. Und die Tankstelle ist auf Automatikbetrieb. Aber so bekommen wir wenigstens das dringend benötigte Benzin, um unseren Leihwagen nicht zurückschieben zu müssen 🙂

Seinen Namen hat der Nationalpark, der eng mit dem Kings-Canyon Nationalpark verbunden ist, von den imposanten Küstenmammutbäumen, den Sequoia sempervirens. Die gigantischen Nadelbäume sind die Hauptattraktion, die auch wir uns nicht entgehen lassen wollen. So wandern wir zum „General Grant“, dem größten Baum der Welt, der bereits auf dem Gebiet des Kings Canyon zu finden ist. Wie lange er schon hier in Kalifornien steht, ist nicht klar. Er soll 1.500 bis 1.900 Jahre alt sein. Unvorstellbar, oder? Laut Hinweisschild ist er stolze 84 Meter hoch. Auch wenn der General Grant, der 1956 zur nationalen Gedenkstätte erklärt wurde, unser Ziel ist: Jeder der hohen Giganten ist beeindruckend. Wahnsinnig beeindruckend. Wie gutmütige Riesen aus einer anderen Welt wirken sie auf mich. Waren sie Vorlage für J.R.R. Tolkiens Ents in der Fantasiesaga „Herr der Ringe“? Ihre Rinde ist so schön samtig braun, ihre grünen Nadelkleider leuchten in der Sonne und der Schnee um ihre dicken Stämme bilden einen wunderschönen Kontrast. Weit lege ich den Kopf in den Nacken, um hinauf in ihre Wipfel, die sich seicht im Wind wiegen, zu sehen. Schon alleine bei dem Anblick wird mir ein wenig schwindelig. Aber hochklettern ist sowieso verboten 🙂 Zäune schützen die riesigen Bäume vor Tausenden von Touristenhänden, die Jahr für Jahr nur allzu gerne die Sequoias tätscheln, umarmen und womöglich noch etwas Rinde als Andenken mitnehmen. Durch die Zäune sollen die Giganten möglichst wenig Schaden nehmen. Und dennoch: immer wieder klettern Besucher über die Holzabsperrungen. Aber es gibt auch Bäume, die nicht umzäunt sind. Durch einige umgestürzte Exemplare können wir sogar durchlaufen, sie anfassen und uns einen noch besseren Eindruck ihrer gigantischen Größe machen.

Wir können uns nach einem Tag voller frischer Luft, zwitschernder Vögel und stapfen durch Schnee nicht von der Schönheit des Nationalparks losreißen. So bleiben wir über Nacht, mieten uns in der John Muir Lodge ein. Hier findet die Idylle des Tages nahtlose Fortsetzung. Holz wohin das Auge blickt. Nicht nur die Häuser selbst, auch Bett, Nachttisch und andere Einrichtungsmöbel sind aus Holz gefertigt. Bevor wir es uns in unserem Zimmer gemütlich machen können, heißt es aber erst einmal: Auto leeren. Und zwar komplett! Die meisten Bären schlummern so früh im Jahr zwar noch friedlich in ihren Winterhöhlen, dennoch nehmen wir die Hinweisschildern und Warnungen der Empfangsmitarbeiterin ernst. Bären haben eine verdammt feine Nase, durchstöbern alles, immer auf der Suche nach etwas Essbarem. Und sollte jetzt schon einer der Wildtiere aus dem Winterschlaf erwacht sein, so wird er sicher großen Hunger haben. Keine Zahnpasta, kein Bonbonpapier, kein Kaugummi darf im Auto bleiben, um keine Bären anzulocken, die im Zweifel auch schnell mal eine Autoscheibe eindrücken, um an das Ersehnte zu kommen. Vielleicht ist das Ausräumen ein wenig übertrieben, aber so kommt unser Auto in den Genuss einer gründlichen Reinigung 🙂

In der Lodge ist mehr Betrieb. Viele Familien nutzen die freien Tage für einen Ausflug in die Natur. Im Gemeinschaftszimmer werden Spiele gespielt und gepicknickt. Fernseher gibt es keinen, auch nicht auf den Zimmern. Die Natur steht im Vordergrund, das gemeinsame Erleben, zurück finden, zu sich, zur Ruhe. Eine Auszeit. Das muss man mögen – und ich mag es. Wobei ich froh bin, in der Lodge zu übernachten und nicht auf einem der Zeltplätze in der Nähe; nicht nur wegen der möglichen neugierigen Bären, auch wegen dem Schnee und der Kälte in der Nacht. Aber es gibt eben immer Leute, die das Abenteuer suchen 🙂

Morgennebel über dem Kings Canyon Nationalpark

Am nächsten Morgen brechen wir rechtzeitig auf, genießen den Nebel, der über dem Canyon hängt und haben den Park mit seinen gigantischen Bäumen einige Stunden für uns alleine. Erst gegen spätem Vormittag kriegen wir Gesellschaft. Zwei Familien mit kleinen Kindern, die kreischen und quietschend um die Bäume herumlaufen, über die Zäune klettern, um den Giganten ganz nah zu sein. Zeit, langsam weiterzuziehen. Viele Meilen liegen heute noch vor uns. Wir wollen die Mojave Wüste durchqueren, an Windparks vorbeifahren, an Ödnis und Steinen bis in die Vergnügungsmetropole Las Vegas. Schon bevor wir den Park mit seinen Giganten verlassen, steht für mich fest: Ich werde wieder kommen. Sicher noch einmal zu Frühlingsanfang, wenn hier noch der letzte Schnee liegt, der Winterschlaf noch nicht ganz vorbei und die Idylle einen friedlich umschließt.

Einige Impressionen meiner USA-Reisen findest Du in meinen Fotowelten. Dabei sind neben den Nationalparks in Kalifornien unter anderem San Francisco, Washington DC und Miami Beach. Wunderschöne Orte, die immer eine Reise Wert sind 🙂