Eher unbewusst beobachte ich die Leute, die in den Bus einsteigen. An jeder Haltestelle. Als scheinen sie einem unsichtbaren Faden zu folgen, gehen einige von ihnen gezielt nach hinten, andere bleiben vorne, als würden sie die Nähe zum Fahrer suchen. Fühlen sie sich dort sicherer? Unwillkürlich muss ich an meine Reise durch den Osten der USA vor einigen Jahren denken. Von Washington DC bin ich mit dem Überlandbus, dem Greyhound, bis nach Miami gefahren; natürlich mit mehreren Stopps. Ich dachte, auf diese Weise sehe ich mehr vom Land, weil ich mich nicht aufs Fahren und die Strecke konzentrieren müsste. Dabei „dichter“ dran an den Leuten, als wenn ich mir einen Mietwagen nehmen würde. Dazu war es unschlagbar günstig.

Auf dem Weg bekam ich jede Menge guter Ratschläge. Zum Beispiel – und das habe ich oft gehört – sollte ich mich immer weit vorne in den Bus setzen. In der Nähe des Busfahrers sei es sicherer als in den hinteren Sitzreihen; und das bezog sich nicht auf eventuelle Unfälle. Mir wurde auch geraten, mein Handgepäck während der Fahrt nicht aus den Augen zu lassen, da Mitreisende sonst Wertsachen klauen könnten. Die Fahrzeit für ein Nickerchen nutzen sei daher eine schlechte Idee. Alles nur Humbug? Übertriebene Panikmache?

Auch der Blick aus dem Busfenster kann spannend sein

Das erste Teilstück führte mich von Washington DC nach Raleigh in North Carolina. Es war der zweite Januar und am Busbahnhof wimmelte es von Soldaten in Uniform. Auch in meinem Bus waren viele, die nach den Feiertagen wieder zu ihrem Stützpunkt zurückfuhren. Natürlich gab es auch Zivilisten unter den Fahrgästen. Die Stimmung war sehr freundlich und entspannt, aber nicht sehr kommunikativ; jeder war irgendwie mit sich selbst beschäftigt. Das war OK. Nach den ganzen Warnungen war es mir recht, mich erst einmal nur um mich selbst zu kümmern und mir die Gegend anzusehen. Meistens allerdings nicht sehr aufregend, da der Bus vorrangig auf den Highways unterwegs war.

Ohne Jogginghose und Flip-Flops falle ich auf

Zwei Tage später hatte sich das Publikum drastisch geändert. Die Soldaten waren alle wieder in ihre Kasernen zurückgekehrt, so blieben als Fahrgäste die Klischees der amerikanischen Unterschicht zurück. Und sie waren ausgesprochen kommunikativ. Es gab nicht viele Momente, in denen ich alleine war. Ob beim Warten am Bussteig oder im Bus selbst: die Leute waren neugierig. Hob ich mich, auch ohne ein Wort zu sagen, aus unerklärlichen Gründen von den anderen Fahrgästen ab? Lag es an meiner Kleidung? Die meisten anderen hatten bequeme Jogginghosen und Flip-Flops oder Latschen an. Oder war es mein nagelneuer Koffer, den ich neben den Tüten und Taschen der anderen Reisenden immer leicht wiedererkannte?

Da war Derek. Er war auf dem Heimweg nach Myrtle Beach in South Carolina, nachdem er die Feiertage bei seiner Tochter verbracht hatte. Auch er trug Jogginghose, war schätzungsweise Mitte 50 und hatte eine ausgebeulte Reisetasche bei sich. Anfangs war das Gespräch recht unverfänglich. Es waren die üblichen Fragen: Wo kommst Du her? Wo willst Du hin? Wie waren die Feiertage? Natürlich redeten wir auch über das Wetter 🙂

Im Bus wandelte sich das Thema recht schnell. Kaum waren wie einige Meilen gerollt und bogen Richtung Schnellstraße ab, fing Derek an, über Religion zu reden. Früher, so erzählte er, habe er ein unstetes Leben gehabt. Er sei kein guter Ehemann gewesen, auch kein guter Vater, habe keinen Job lange behalten können. Seine Ehe sei schließlich zerbrochen. Dann habe er den Weg zu Jesus gefunden. Jesus sei eben barmherzig und liebe uns alle. Auch jene, die vom Weg abgekommen seien.

Die Werbebotschaft ist klar: „Jesus liebt dich!“

Jesus. Von ihm habe ich während meiner Reise mit dem Überlandbus so einiges gehört. Große Werbetafeln an den Schnellstraßen und Autobahnen versicherten mit farbenfrohen Buchstaben „Jesus loves you“. Und jeder erzählte mir, dass seine Kirche die beste sei, die das Wort Jesu richtig verstand, vorbildlich lebte und weitergab. So auch die von Derek. Mehr als einmal lud er mich ein, ihn in Myrtle Beach zu besuchen und mit in seine Kirche zu kommen. Ich lehnte freundlich ab.

Kirche: In den USA gibt es eine Vielzahl von ihnen. Methodisten, Baptisten, Mormonen. Die größte Gruppe stellt zwar nach wie vor die römisch-katholische Kirche; der Einfluss der kleinen freien Glaubensgemeinschaften ist jedoch nicht zu unterschätzen.

Nicht alle der weiten Straßen der USA lassen sich bequem mit dem Fernbus erkunden. Wie hier durch das Death Valley im Westen des Kontinents fahren wir doch lieber mit dem Auto.

Aber es gab auch andere Themen. Nicht jeder wollte mich in seine Kirche einladen oder mit mir über Jesus sprechen. Auch auf Europa wurde ich angesprochen. Meist hatten meine Gesprächspartner allerdings keine hohe Meinung davon. Zu viele Regularien und Vorschriften, zu wenige Freiheiten. Vor allem über das Krankenkassensystem ereiferten sie sich – als ich mit dem Bus die Ostküste entlang reiste, wurde die umstrittene „Obama-Care“ gerade im Senat beschlossen. Wie könne man nur jeden zwingen, in die Krankenkasse einzuzahlen, schimpften sie kopfschüttelnd. Das gehe den Staat doch nun wirklich nichts an. Sicher eine Frage der Perspektive. Dass ich die positiven Aspekte der gesetzlichen Krankenkasse hervorhob in den Diskussionen, wiegelten sie mit dem Argument ab, dass ich schon viel zu lange dem Kontrollwahn der europäischen Staaten ausgesetzt sei und ja bedauerlicherweise gar nicht wisse, was wirkliche Freiheit bedeute. Wahre Freiheit gebe es eben nur in Amerika.

Wen man im Bus so alles trifft…

Ganz anders verlief das Gespräch mit einem in etwa gleichaltrigen Mann, der sich während eines Zwischenstopps in der Wartehalle neben mich setzte. Diese war gut gefüllt und fast alle Sitzplätze belegt, so ließ ich mich nicht beirren und schrieb weiter in mein Notizbuch. Wer mich kennt, der weiß, dass ich sehr selten ohne Stift und Block aus dem Haus gehe. Gedanken, Ideen, Erlebnisse halte ich gerne fest, insbesondere auf Reisen.

Ob ich Schriftstellerin sei. Ohne eine Antwort abzuwarten erzählte er mir, dass er selbst ein Buch geschrieben habe und fragte, ob ich das nicht mal lesen wollte. Soviel verstand ich. Der Typ mit seinen Baggypants und dem dicken Kapuzenpullover fing an, mir den Inhalt des Buches wiederzukäuen, wovon ich aber nur die Hälfte verstand; oder auch weniger. Er hatte einen starken Südstaaten-Akzent und nuschelte dazu ganz furchtbar. Jeder Versuch meinerseits, das Gespräch zu beenden, lief ins Leere. Selbst im Bus – wir fuhren beide Richtung Süden weiter – konnte ich ihn nicht abschütteln. Wenigstens keine erneute Einladung in die angeblich beste Kirche der Welt, so dachte ich gerade, da fragt mich der Typ, ob ich an der nächsten Haltestelle mit ihm aussteigen wolle… Ich lehnte entschieden ab  – und saß nach dem nächsten Stopp bis zu meinem Tagesziel Savannah neben einem älteren Mann, der mir von der großen Liebe Jesus erzählte und alle 20 Minuten auf die Bordtoilette verschwand, um sich heimlich einen kräftigen Schluck aus seinem Flachmann zu genehmigen. Offiziell ist Alkohol in allen Bussen untersagt. Bis nach Savannah war es glücklicherweise nicht mehr weit.

Busfahren in den USA: empfehlenswert?

Ob ich nach diesen geschilderten Erlebnissen den Überlandbus als Reisemittel in den USA überhaupt empfehlen kann? Unbedingt! Zum einen ist es ein Erlebnis – für mich war es das jedenfalls 🙂 Auch wenn meine Schilderungen etwas zynisch anmuten mögen: Ich erinnere mich noch heute an diese Reise, erzähle von meinen Erlebnissen, den Menschen, die ich getroffen habe. Das nächste Mal würde ich allerdings eine andere Strecke wählen.
Darüber hinaus ist der Bus wie beschrieben ein sehr günstiges Reisemittel. Die Verbindungen sind gut, viele und auch kleinere Orte werden angesteuert. So ist man zwar nicht so flexibel wie mit dem Auto, aber flexibler als mit dem Zug.

Unterwegs auf den Straßen der USA.

Sonderlich viel von den landschaftlichen Highlights bekommt man aus dem Busfenster nicht mit, dafür lernt man die USA von einer ganz anderen Seite kennen. Ungeschönt. Ein Amerika, das gefühlt meilenweit entfernt von den touristischen Anziehungspunkten liegt. Die Begegnungen mit den Mitreisenden, ob nun überzeugter Christ, Anhänger des flüssigen Rausches  oder angehender Autor, waren faszinierend, vielschichtig und unvergesslich.

Was ich von den gut gemeinten Ratschlägen bezüglich der Sicherheit halte? Auf meiner Reise ist mir nichts gestohlen worden. Kamera, Geld, Ausweis – alles noch da 🙂 Und das, obwohl ich mal vorne, mal hinten im Bus saß und mir auch mein Nickerchen auf langen Strecken nicht habe nehmen lassen. Die Busbahnhöfe liegen oft etwas dezentral, sodass ich raten würde, vorher schon die Telefonnummer eines örtlichen Taxibetriebes rauszusuchen. Wie immer auf Reisen kommt es eben auch beim Fahren mit dem Fernbus darauf an, Situationen individuell einzuschätzen und aufmerksam zu sein.

Du willst doch ein wenig mehr sehen als nur die Straßen der USA? 🙂 Imposante Sonnenuntergänge, berühmte Gebäude und weiße Sandstränd findest Du in meinen Impressionen „von Ost und West“.