Mein Herz hüpft vor Freude und vor allem Erleichterung: Endlich mal ein Hinweisschild auf meiner Wanderung an der Nord-Ostküste von Guernsey! Mein nächstes Etappenziel, der Dolmen Le Dehus, kann nicht mehr weit sein. Der immer mal wieder aufkeimende Nieselregen, mein stetiger Begleiter an diesem Vormittag, hat sich in ergiebige dicke Tropfen verwandelt. Meinem Optimismus sei Dank, hängt meine Regenjacke in meinem Hotelzimmer, ganz akkurat auf einem Bügel im Schrank. Für die letzten Meter bis zum Dolmen klappe ich meinen kleinen Regenschirm auf, den ich meistens dabei habe; eigentlich um im Notfall meine Kamera vor zu viel Nässe von oben zu schützen. Jetzt schütz der hellblaue Schirm eben mich!

Dann sehe ich die grüne Erhebung, gerahmt von dunklen Steinen. Verlassen liegt das megalithische Ganggrab vor mir. Ist hier jemand? Meine Vorfreude weicht kurz der Enttäuschung: Ist es das jetzt? Muss ich, ohne einen Blick ins Innere geworfen zu haben, weiterziehen? An der Tür hängt ein Schild: „Open daily from 9 am until sunset. Admission Free. Light switch inside door. Please switch off before leaving.“

Wie sympathisch! Während in anderen Ländern ähnliche Zeugnisse der Vergangenheit für gewöhnlich touristisch vermarktet werden, gibt es hier am Dolmen Le Dehus quasi „Selbstbedienung“. Es hat etwas von selbstgemachter Marmelade, die auf dem Bastelbasar zur Weihnachtszeit oder dem Schulfest vor den Sommerferien angeboten wird; der Deckel schön mit buntem Stoff verziert und fröhlichem Bastband festgezurrt. Mit dem Aufkleber und dem handgeschriebenen „Erdbeer-Rhabarber“, der ein wenig schief auf der Vorderseite hängt, hat es so gar nichts von den industriell abgefüllten Gläsern aus dem Supermarkt, aber das ist ja das Schöne daran! Das Selbstgemachte schmeckt man! Und es ist großartig! Genauso selbstgemacht wie die Touristenattraktionen „Le Dehus“ hier auf Guernsey.

Achtung: Kopf einziehen!

Vorsichtig öffne ich die kleine dunkle Tür und taste links nach dem Lichtschalter. Meine Kameratasche schubse ich als erste durch den niedrigen Eingang in das trockne Innere, bevor ich, tief gebeugt und in der Hocke, ihr folge. Auch drinnen bin ich alleine. Anfangs muss ich mich noch geduckt halten, um mit dem Kopf nicht gegen die schweren Steinplatten über mir zu stoßen. Im Raum selbst kann ich mich aufrichten. Ruhig ist es. Die Welt „da draußen“ scheint nicht zu existieren, nichts dringt von ihr durch die dicken Steinmauern und den robusten Erdhügel ins Innere. Zugegeben, die Stille und das Wissen über die lange Geschichte der Grabanlage jagen mir einen ehrfürchtigen Schauer über den Rücken. Diese Steine haben schon so viel gesehen und erlebt. Was würden sie wohl erzählen, wenn sie sprechen könnten? Vieles haben Wissenschaftler über vorangegangene Zeiten bereits erforscht, aber ebenso vieles wird für immer unentdeckt bleiben. Insbesondere der große Stein in der Mitte des Raumes, vom warmen Licht der Glühbirne angestrahlt, könnte sicherlich einige spannende Geschichten zum Besten geben. Mit wenigen Schritten habe ich ihn umrunden. Laut der Tafel vor der Eingangstür soll über ihm eine Figur in den großen Deckstein eingemeißelt sein. Mit den Fingern ertaste ich ein paar Rillen in dem Menhir. Erst als ich mich auf den Boden knie, beinahe schon im Liegen an die niedrige Decke blicke, erkenne ich das Gesicht. Traurig sehen die Augen auf mich herunter.

Es ist ein wenig unbequem auf dem Fußboden, daher stehe ich auf und sehe mich weiter um. Zwar ist das Grab nicht mehr ganz im Original enthalten, wie so oft wurden bei der Erforschung einige Steine versetzt, neu aufgestellt oder in Gänze erneuert, dennoch fasziniert mich die Langlebigkeit solcher Bauwerke. Dieses Ganggrab wurde schätzungsweise 3.500 vor Christus erbaut und steht noch immer!

Natürlich mache ich noch ein paar Fotos; ohne Stativ nicht ganz so schön. Bevor ich die kleine Tür hinter mir zuziehe, drücke ich den Schalter links neben der Tür wieder herunter. Der Letzte macht wie immer das Licht aus.

 

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