Voll, voller, Cinque Terre – die bunten Häuser an der Ligurischen Küste Italiens sind seit Langem zum Touristenmagneten geworden. Das ist auch an den wohl einst idyllischen Örtchen, die mit ihren bunten Häuschen am Hang eine malerische Kulisse abgeben, nicht spurlos vorbeigegangen. So dicht gedrängt wie die Touristenströme, die sich Tag für Tag durch die schmalen Gassen schieben, reihen sich auch die Restaurants, Cafés und Souvenirläden aneinander. Zwar war ich vorgewarnt, dass die kleinen Orte trotz des Versuchs der Regulierung der Touristenströme vor allem während der Sommermonate überlaufen sind. Ich wollte sie dennoch sehen, die kleinen bunten Häuser oberhalb der Küste, die einen immer wieder aus Reisemagazinen und Bildbänden entgegen leuchten.
Eigentlich mache ich Urlaub in der Toskana und so ist die Zeit ein wenig knapp. Einen Tag für fünf kleine Dörfer, kann das gehen?

Der Tag startet in La Spezia im Süden der berühmten Dörfer, die im Nordwesten Italiens direkt an der Küste in einem Naturschutzgebiet liegen. Von hier startet der Zug, der Einheimische wie Touristen nach Manarola, Corniglia oder Monterosso al Mare bringt. Vier Stationen sind es bis nach Vernazza, unserem ersten Stop. Dass es an dem kleinen Bahnhof ein wenig voller ist, überrascht mich noch nicht. Doch als wir vom Bahnhof die Hauptstraße runter zum Meer schlendern, ahne ich, was das Wort „Overtourism“ bedeutet. In der kleinen Straße drängeln sich die Touristen. Sie tragen bunte Schlüsselbänder um den Hals, in orange, grün oder rot, und folgen meist einem Tourguide, der (oder die) ein ebenso farbenfrohes Fähnchen in die Luft recken, damit ihnen die Gruppe folgen kann.

Türkises, klares Wasser mit kleinen Booten, die im seichten Wasser schaukeln – die Hauptstraße führt geradewegs auf eine malerische Bucht zu. Darüber erstrecken sich weite, grüne Hänge, dazwischen kleine Häuser, eine kleine Kirche. Für einen Moment vergesse ich den Trubel um mich herum. Wie es wohl vor 20, 30 Jahren hier gewesen ist, noch ganz verträumt und vielleicht ein bisschen verschlafen. Kleine Geschäfte statt der vielen Restaurants und Souvenirläden. Vielleicht legten bunte Fischerboote in der Bucht am Fuße der grünen Hügel mit ihrem frischen Fang an. In den Gassen sind die Dorfbewohner unterwegs, sitzen bei den warmen Temperaturen im Schatten, halten einen Plausch.
Eine Gruppe japanischer Touristen reißt mich aus meinem Tagtraum. Heute ist es anders – und Vernazza mir eindeutig zu voll. Außerdem muss ich weiter, wenn ich noch mehr von den „Cinque Terre“ sehen möchte.

Mit dem Zug geht es weiter in das nördlichste Dorf: Monterosso al Mare. Der Ort ist ein wenig größer, teilt sich in zwei Buchten, wodurch sich die Touristen ein wenig verteilen. Es ist nicht ganz so ein Geschiebe, als wir an der Bahnstation ankommen, von der wir auf einen der Strände blicken. Wie an so vielen Stränden reihen sich hier Sonnenliegen und bunte Schirme dicht aneinander. Es ist eben Hochsaison.

Ich schlendere die breite Promenade oberhalb der Strände entlang. Über mir der tiefblaue Himmel. Die Sonne brennt. Mittagszeit. In den gut gefüllten Cafés und Restaurants schlagen sich die Leute in den Schatten, nur die Tische in der prallen Sonne sind noch frei. Aber ich möchte mir ohnehin kein ausgiebiges Mittagessen gönnen, sondern lieber durch die kleinen Gassen stöbern.

Von den Hauptstraßen führen Treppen durch die in gelb, terrakotta oder blau gestrichenen Häuser hinauf. Ganz alleine bin ich auch hier nicht, aber es ist deutlich entspannter und leerer. Hübsch verzierte Holztüren mit schweren Türklopfern. Große Pflanzkübel auf den Treppenstufen. Wäsche auf der Leine vor den Fenstern. Kabel führen hoch über meinem Kopf von Haus zu Haus. Ein unbehagliches Gefühl überkommt mich. Ich komme mir wie ein Eindringling vor, als würde ich eine unsichtbare Linie überschreiten. Unten die Mengen von Touristen, oben das Reich der Einheimischen. Die Neugier treibt mich voran – und die touristischen Hinweisschilder weisen mir den Weg.
Vom Vorplatz des Konvents der Cappuccini aus genieße ich den herrlichen Ausblick auf die Bucht, das türkise Wasser mit den Bötchen, die Küstenlinie gen Süden. Die Bäume werfen angenehmen Schatten; hier lässt es sich gut aushalten 🙂

Im Hafen von Monterosso starten die Ausflugsboote nach La Spezia. In gemütlichem Tempo schippert unser Bötchen die Küste entlang. Leider mit einigem Abstand. So lassen sich die bunten Häuschen an den Hängen, für die dieser Küstenabschnitt so berühmt ist, eben nur aus der Ferne genießen. Und so suchen meine Augen vergeblich nach dem einem, dem schönen Blickwinkel. Ganz hübsch ist es trotzdem. Und im Hafen von La Spezia schickt der Mond am Abendhimmel liebe Grüße zur Erde.

Zurück zur Eingangsfrage: Cinque Terre an nur einem Tag erleben möglich? Das ist keine gute Idee. Auch wenn die Ortschaften durch die vielen Touristen einen Teil ihres Charmes verloren haben, finden sich hier nach wie vor schöne Fleckchen. Aber man muss ein Stück hinauf in die Hügel steigen, raus aus dem Trubel. Dafür bedarf es länger als einen Tag. Wer die „Cinque Terre“ erkunden möchte, sollte sich daher direkt vor Ort eine Unterkunft suchen und die Ortschaften ganz in Ruhe entdecken. Auf den Wanderwegen, morgens und abends, wenn die Touristenströme der vielen Gruppen noch nicht angereist sind oder wieder verebbt sind. Dann ist auch das Licht schöner und die Muße da, die Schönheiten zu fotografieren. Beim nächsten Mal 🙂

Ein paar Schnappschüsse von meinem Tag an der ligurischen Küste findest Du in meinen Fotowelten.