Sie blitze nur einmal kurz im Scheinwerferlicht des Autos auf und machte so auf sich Aufmerksam. Gesehen hätte ich sie sonst nicht. Vielleicht ein gedankenverlorener Blick oder meine Augen hätten sie aus dem Blickwinkel heraus gestreift. Wahrgenommen hätte ich sie wahrscheinlich nicht. Zu klein, zu unscheinbar, halb im Sand zwischen den Gehwegplatten vergraben. Eine Büroklammer. Achtlos weggeworfen. Sie musste dort schon länger liegen, denn unter der rosa Gummiumrandung schaute verrostetes Metall hervor.

Natürlich, eine Büroklammer, die auf dem Gehweg liegt, ist nichts Besonderes. Würde jemand alle verlorengegangenen Büroklammern der Welt einsammeln, sie ließen sich leicht zu einem großen, hohen Berg auftürmen oder aneinandergereiht um die Erde spannen. An einem anderen Tag wäre ich sicherlich vorbeigelaufen.

Bei dem Anblick der rosa Heftklammer, die so einsam zwischen den daneben so groß wirkenden grauen Platten lag, kam mir Jessica in den Sinn. Ich hatte sie bei meiner Tour entlang der Ostküste der USA vor fünf Jahren in Savannah getroffen. Wir reisten beide alleine und durchstöberten spontan gemeinsam die Stadt auf der Suche nach schönen Fotomotiven.

Beim Rundgang durch die Stadt, in der schon Tom Hanks alias Forrest Gump auf der Parkbank Pralinen an Fremde verteilte und Bagger Vance seine Golfbälle übers Grün schlug, blieb Jessica immer wieder stehen, um Büroklammern, die einsam und dreckig auf dem Boden lagen, zu fotografieren. Das sei ihr Tick, erzählte sie, Fotos von Büroklammern zu sammeln. Aus jedem Urlaub bringe sie neue Fotos mit, die sie sorgfältig auf ihrem Rechner archiviere. Sonst wisse man irgendwann nicht mehr, aus welcher Stadt welche Büroklammer sei. Inzwischen seien es Hunderte von Fotos von verloren gegangenen Heftklammern. Bunte, silberne, verbogene, kaputte, dreckige.

Diesen Tick kann man als neurotische Spinnerei abtun.

Ich blieb neben der rosafarbenen Büroklammer stehen und betrachtete sie genauer. Wie viele Tage oder Wochen lag sie wohl schon dort im Sand? Wer hatte sie verloren? Was hatte sie zusammengehalten? Eine wissenschaftliche Abhandlung über Goethes Faust? Vielleicht Rechnungskopien für die anstehende Steuererklärung? Oder war die kleine Metallklammer aus der Tasche gefallen, als der Besitzer nach etwas ganz anderem gesucht hatte? Auf jeden Fall weckte das kleine, verlassene Ding meine Neugier und inspirierte mich für eine abstrakte Sicht der Welt!