Erstaunlich, wie viel Halt mir die kleinen Metallspitzen geben, die mit robusten Gummis unter meinen Schuhsohlen befestigt sind. Anfangs ist das Gehen auf den Spikes gewöhnungsbedürftig, aber nach wenigen Metern laufe auch ich trittsicher über die dicken Eisschichten. Viel Schnee liegt leider nicht auf unserem Weg, aber durch das aktuelle Pendeln der Temperaturen in Bodø, einem kleinen Ort nördlich vom Polarkreis, zwischen +3 und -3 Grad Celsius ist es immer wieder spiegelglatt.

Die Spikes habe ich von Meike und Henry, unseren beiden Tourguides. Die Gangway runter auf der rechten Seite bei einem kleinen weißen Holzhäuschen haben sie uns mit der richtigen Ausrüstung für unsere Winterwanderung versorgt. Kaum zehn Minuten sind wir mit dem Bus vom Hafen an den Stadtrand des nordnorwegischen Ortes gefahren und vor uns breitet sich eine traumhafte Kulisse aus. Getaucht in dumpfes, leicht bläuliches Licht lassen wir den kleinen Yachthafen und die Holzhäuschen in typisch nordischem Rot gestrichen hinter uns und laufen zu einer der Buchten.

Meike legt ein zügiges Tempo vor. Nach den zwei ruhigen Urlaubstagen an Bord der MS Finnmarken und in den Häfen entlang der südnorwegischen Küste genau das Richtige! Auch wenn dabei Fotografieren kaum möglich ist, doch die Bewegung an der frischen Luft tut einfach nur gut! Der Ostwind pfeift uns ins Gesicht. Eisig fühlt er sich an. Kein Wunder, dass Meike und Henry – er  begleitet die englischsprachigen Wanderer – vor der Tour nicht nur Spikes ausgegeben haben, sondern auch jeden aus der Gruppe auf warme Kleidung „überprüft“ haben; zumindest haben sie sich davon überzeugt, dass alle eine warme Mütze, Schal und Handschuhe dabei haben. All‘ das ist wirklich gut zu gebrauchen!

Wir sind nur ein kleines Grüppchen, vielleicht zehn Leutchen. Die anderen rund 300 Passagiere, die derzeit auf „unserem“ Postschiff reisen, machen eine Sightseeing-Tour, erkunden auf eigene Faust den kleinen Ort nördlich des Polarkreises, den wir heute Vormittag überquert haben, oder sind an Bord geblieben. Gönnen sich vielleicht eine Runde im Pool oder entspannen in einem der beiden Whirlpools an Deck.

Meike wandert mit uns zur ersten Strandbucht hinunter. Das Wasser hat ein wundervolles Blau, das in dem Dämmerlicht sachte leuchtet. Ein rötlicher schmaler Streifen am Himmel verrät, wo sich die Sonne „versteckt“. Unwirklich, fast wie auf Leinwand gemalt, schimmert es rot-bläulich und taucht den schneebedeckten Berg auf der gegenüberliegenden Bucht in märchenhaften Glanz. Wir haben Mittagszeit und nutzen somit die etwa vier Stunden Tageslicht, die es in diesen Breitengraden im Winter gibt, für unsere kleine Tour aus.
Bodö im Text

Die Flut hat uns nur wenig Strand zum Gehen übrig gelassen, an einer Stelle brauchen wir ein paar große Schritte, um trocknen Fußes über das Wasser zu kommen. Vollmond und Westwind drücken den Nordatlantik in die Buchten.
Um uns herum türmen sich schneebedeckte Berge auf, an denen weiter oben dicke Eisschichten auszumachen sind. Über mangelnde Kälte können wir uns also nicht beschweren, auch wenn ich mir den norwegischen Winter schneereicher vorgestellt habe. Aber auch hier im hohen Norden ist die Globale Erwärmung zu spüren; gerade der Dezember sei viel zu warm gewesen, höre ich immer wieder von Norwegern. Und Meike berichtet uns, dass aktuell ein Orkan nach dem anderen über das Land ziehe; mit mehr Regen als Schnee im Gepäck. Weiter im Landesinneren gebe es aber noch Schnee, nur eben hier an der Küste nicht.

Unser Weg führt durch einen niedrig gewachsenen Birkenwald. Hier, so erzählt uns Meike, liegen rund 40 Wikingergräber. Drei davon zeigt sie uns. Runde Hügel, inzwischen teilweise mit Birken bewachsen. Reste zeugen noch davon, dass die Hügel einst mit einer Reihe kleiner Steine umschlossen waren. Die Grabstätten waren gleichzeitig Landmarken für die Seefahrer und Fischer. Letztere fuhren vor allem Mitte Januar in Scharen auf ihrem Weg zu den Lofoten hier vorbei, um auf der Inselgruppe Unmengen von Dorsch für den berühmten norwegischen Stockfisch zu fangen. Zwischen Januar und April kommen die Fische aus der Barentssee zum Laichen in die norwegischen Gewässer, die hier Dank des Golfstromes die perfekte Temperatur zur Fortpflanzung haben. Diese nordische Delikatesse und ihre Geschichte begegnen mir immer wieder auf der Reise; ist die Lofoten-Fischerei seit Jahrhunderten ein wichtiger Teil des norwegischen Lebens. Auch heute noch; wenn diese Art sein Geld zu verdienen bei Weitem nicht mehr so Beschwerlich ist wie damals.

Bucht um Bucht erwandern wir, während der beißende Ostwind uns weiter um die Ohren fegt. An einem windgeschützen Fleckchen gibt es heißen Tee aus Mädesüß, einem Heilkraut, das hier am Wegesrand wächst. Herrlich! Nur schade, dass nach gut zwei Stunden alles zu Ende ist: Die MS Finnmarken wartet schon. Weiter geht es für uns Richtung Lofoten; um 19 Uhr sollen wir laut Plan im Hafen von Stamsund einlaufen.