Wer an Mord, Totschlag und „Tat-Orte“ in Hamburg denkt, hat unwillkürlich St. Pauli im Kopf. Und keine Frage: Auf dem Kiez geht es immer wieder hoch her; wobei die Bewohner der anderen Stadtteile selbstverständlich keine Heiligen sind. Und auch die Tatort-Kommissare des Fernsehklassikers ermitteln weit über die „sündige Meile“ hinaus. Aber was gibt es fernab der Krimiwelt zu erleben? Landungsbrücken, Alter Elbtunnel, Michel, Elbphilharmonie – die Liste der sehenswerten Seiten von Hamburg ist lang. Und viele Orte wie den Ohlsdorfer Friedhof oder das Schanzenviertel habe ich bereits besucht; Fotos dazu findest Du in meinen Fotowelten. Für meine diesjährige Sommerserie war ich deshalb auf der Suche nach etwas Neuem, nach einem weißen Fleck auf den herkömmlichen Sightseeing-Routen.

Im Süden der Hansestadt bin ich fündig geworden: Harburg. Schon mal dort gewesen? So richtig auf dem sprichwörtlichen Schirm haben wohl die wenigsten diesen Stadtteil. Dabei hat sich hier, ebenso wie im benachbarten Wilhelmsburg, in den vergangenen Jahren einiges gewandelt. Vor allem viel neuer Wohnraum, umgeben von Parks und Grünanlagen, sind entstanden.

Harburg wurde bereits in der Jungsteinzeit besiedelt

Heute zwar einer von vielen Hamburger Bezirken, zeugen das imposante Harburger Rathaus und der Binnenhafen noch davon, dass das nicht immer so war. Bis 1938 war das südliche Viertel eine eigenständige Stadt mit reger Vergangenheit. Archäologische Funde lassen darauf schließen, dass dieser Teil des heutigen Hamburgs bereits in der Jungsteinzeit besiedelt wurde. Die namensgebende Horeburg soll etwa 800 n. Chr. entstanden sein und wird 1133 erstmals urkundlich erwähnt. Wer tiefer in die Geschichte einsteigt, findet ein emsiges Ringen um Harburg: Mal gehörte es zum Fürstentum Celle-Lüneburg, war in diesem Rahmen ab 1288 ein eigener Rechts- und Gerichtsbezirk, mal war Harburg Teil des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg, Ende des 18. Jahrhunderts und erneut Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es von Frankreich besetzt, dann wieder befreit und dem Königreich Hannover unterstellt. Dazu kamen Industrialisierung, Bau von Straßen, Bahnstrecken und Schiffsverbindungen, die zu einem enormen Wachstum der Stadt beitrugen. Wie gesagt, Harburg hat eine bewegte Geschichte, die auch heute noch an einigen Orten sichtbar ist.

Imposantes rotes Rathaus

Mit der S-Bahn geht es mit der Linie 3, alternativ mit der Linie 31, über die Elbe, 14 Minuten ab Hauptbahnhof. Astra-Kronkorken liegen am Straßenrand, als ich von der S-Bahn-Station zum Rathaus laufe. Das Logo aus Herz und Anker prangt mir, tief in den Boden getreten, immer noch strahlend entgegen. Ein Stück weiter die Straße hinauf bereitet sich der Dönerladen auf den nächsten Besucheransturm vor. Heute ist Samstag, dazu schönstes Sommerwetter, da wird das Personal nicht lange auf die ersten Gäste warten müssen. Das Kopfsteinpflaster drückt ein wenig unter den dünnen Sohlen meiner Sommerschuhe, aber hübsch sieht es aus 🙂

Der Himmel strahlt tiefblau über dem roten Backsteinhaus. Das Rathaus Harburg wurde zwischen 1889 bis 1892 erbaut. Eilig ziehen kleine Grüppchen in adretten Kleidern, beziehungsweise dunklen Anzügen über den Rathausplatz. Eine Hochzeit im Rathaus? Neugierig folge ich der nächsten kleinen Gruppe. In der Tat: eine Hochzeitsgesellschaft versammelt sich unter freiem Himmel. Schauplatz ist allerdings nicht das Standesamt, sondern die katholische  Kirche St. Maria direkt dahinter. Ausgelassenes Stimmengewirr und entspanntes Warten auf Braut und Bräutigam.

Eingang zum Alten Friedhof in Hamburg-Harburg

Das fröhliche Kirchenläuten begleitet mich auf meinem Weg zum Alten Friedhof. Farbenprächtige Rhododendronbüsche stehen hier in üppiger Blüte. Lila, Violett, Rosa, Weiß. Sie umspielen die alten Grabsteine als würden sie über sie wachen, sie beschützen und den Trauernden Trost spenden. Dabei scheinen die meisten Gräber nur noch Monumente längst vergangener Zeiten zu sein. Gestorben 1784. Gestorben 1846. Gestorben 1914. Finster sieht der Engel aus, der wachend an einem der Gräber steht. Sein Antlitz aus dunklem Stein sieht ein wenig mitgenommen aus von den vielen Jahren, die er bereits hier aufpasst.

Idyllische Natur Mitten in Harburg

Vorbei am Sportplatz und über eine zweckmäßige Brücke aus grauem Beton spaziere ich weiter zum Stadtpark. Für die inzwischen 27 Grad ist es erstaunlich ruhig hier. Drei einzelne Sonnenhungrige haben sich auf der Liegewiese am See niedergelassen. Ein paar Jogger und Radfahrer nutzen den Uferweg für ihre sportlichen Aktivitäten. Ein junger Mann führt seinen braunen Mops an der Leine Gassi; wobei das klägliche Schnauben und Prusten des kleinen Vierbeiners mein Mitleid weckt. Der wäre regungslos im Schatten vielleicht besser aufgehoben?

Brücke zum Naherholungsgebiet Harburg

Die gelben Moorlilien am Ufer des Außenmühlenteiches leuchten mit der Sonne um die Wette. Die Rhododendren blühen auch hier prachtvoll in bunten Farben, die ersten Seerosen schmücken das glitzernde Wasser. Vögel zwitschern. Und ich hatte schon befürchtet, bei meiner diesjährigen Sommerserie würde es ausschließlich um Städte gehen, dabei ist hier Stadtnatur vom Feinsten zu erleben!

Stadtpark Harburg

Auf einer der vielen Parkbänke, schön gelegen, direkt am Seeufer mit Blick auf ein weites Feld von Seerosen, mache ich es mir gemütlich. Durchatmen, den leichten Wind genießen. Aus dem Nichts ertönt plötzlich ein Gong, der mich mit seinem andächtigen „Ding, Dong, Dong“ an die Schulglocke meiner Kindheit erinnert. „Wir stellen die Baderutsche jetzt auf langsam um für unsere kleinen Badegäste.“ Die freundliche Frauenstimme bittet noch um Rücksicht und wiederholt ihre Ankündigung, ehe der Gong ein zweites Mal ertönt und zwar so klar, als würde er direkt neben meiner Parkbank abgespielt. Irritiert blicke ich mich um. Wo um alles in der Welt kam das auf einmal her? So langsam schwant mir: Gong und Stimme sind von der anderen Seeseite zu mir herumgeweht. Dort, so habe ich noch wage im Kopf, ist das Spaßbad „MidSommerland“. Dazu gehört auch das niedliche Schwedenhäuschen direkt am Ufer, das sofort Erinnerungen an Astrid Lindgrens Büllerbü weckt – Midsommerland eben.

Außenmühlenteich Harburg

Wenn ich jetzt nicht aufstehe, bleibe ich den ganzen Tag hier sitzen. Aber ich möchte noch mehr von Harburg sehen! Zurück geht es am Seeufer, vorbei an Liegewiese, Spielplatz, Apothekengarten, über die Brücke und über den Alten Friedhof in die Harburger Innenstadt. Ein Blick auf den Wochenmarkt lasse ich mir nicht nehmen. Herrlich, diese Düfte! Ein fröhliches Potpourri aus frischen Erdbeeren, ofenknackigem Brot und herzhaftem Käse steigt mir in die Nase. Gute Laune liegt über dem Platz „Sand“. Wochenendstimmung. Geöffnet hat der Markt sogar an sechs Tagen in der Woche!

Von der Lämmertwiete zur Schlossinsel und zum Binnenhafen

Mich zieht es weiter. Nach einem kurzen Abstecher in die Lämmertwiete, ursprünglich aus dem 17. Jahrhundert, mit ihren niedlichen zumeist originalgetreu nachgebauten Häusern, die inzwischen alle Bars oder Restaurants beherbergen, schlendere ich zur Schlossinsel. Der Name ist allerdings spektakulärer als die Realität, auch wenn der Weg über die Lotsekanal Klappbrücke und der Blick Richtung Binnenhafen schon nett ist. Von den historischen Gebäuden ist kaum etwas erhalten. Gut, wenn man bedenkt, dass Ausgrabungen nahelegen, dass hier schon im Jahre 1000 n. Chr. eine Burg gestanden hat…nichts hält bekanntlich ewig 🙂 Ich schlendere an der ehemaligen Schlossmauer entlang. Das eiserne Tor am Ende lässt für einen Moment so etwas wie nostalgisches Flair erahnen, aber wirklich nur für einen kurzen Moment.

Street Art in Harburg

Schöner Abschluss meiner Harburg-Tour ist der Spaziergang durch den Binnenhafen. Hier steigt dieses Wochenende (1.-3. Juni 2018) das jährliche Binnenhafenfest mit Live-Musik, Kleinkunst und Spielen.

Wie gewohnt findest Du einige Impressionen von Harburg in meinen Fotowelten. Viel Spaß beim Durchstöbern! Im nächsten Monat nehme ich Dich mit auf Entdeckungsreise durch Bremen, wo im „Tatort-Leben“ seit vielen Jahren Sabine Postel als Inga Lürsen mit Oliver Mommsen als Stedefreund ermittelt; zumindest noch bis 2019!