Der eisige Wind zieht ostwärts durch die Bäume im Park Babelsberg in Potsdam und hat dabei leichtes Spiel. Die kahlen Äste haben ihm nichts entgegenzusetzen. Stoisch strecken sie sich in den Winterhimmel, als würden sie ihm demonstrieren „Egal wie kalt dein Wind weht, wie kurz die Tage sind und wie zugezogen der Himmel, wir harren aus – bis der Frühling dich abgelöst hat, Winter“. Sie trotzen den minus sieben Grad, biegen sich im böigen Wind, hin und wieder bricht ein kleiner Zweig ab und fällt auf den ebenfalls kargen Boden. Aber der Winter hat auch schöne Seiten; selbst wenn der Schnee fehlt, so wie heute.

Bei Dauerfrost, Wind und Wolken sind Mütze, Schal und Handschuhe Pflicht. Die Sonne, die heute eher dem Vollmond ähnelt als gülden und wärmend zu scheinen, kämpft zwar tapfer, aber meist bliebt sie hinter dem weißen Weiß am Himmel verborgen. So habe ich den großen Park zwischen dem Tiefen See, der Glienicker Brücke und den Wohnvierteln vom Stadtteil Babelsberg Nord fast für mich alleine. Nur wenige Spaziergänger lockt es heute nach draußen, ein Jogger kommt mir am Eingang entgegen, ansonsten höre ich nur das Rauschen des Windes und ein paar Vögel, die zwitschernd durch die kahlen Bäume hüpfen.

Rapuzel, werf‘ Dein Haar herab!

Der Flatowturm ist schon von weitem zu erkennen und erweckt sofort meine Neugier. Mit seinen kleinen Turmspitzen erinnert mich der gemauerte Turm an das Märchen von dem Mädchen mit den langen, goldenen Haaren: „Rapunzel, Rapunzel, werf‘ dein Haar herab!“ Zugegeben, der Turm im Märchen ist noch ein bisschen höher und auf jeden Fall schwerer zugänglich als sein Zwillingsbruder im Park Babelsberg. Dennoch muss ich einen kleinen Hügel erklimmen, um zum Turm zu gelangen und als ich vor ihm stehe, den Kopf weit in den Nacken legen, um die vier Turmspitzen zu betrachten. Auf halber Höhe ist eine Art Rundbalkon – perfekt für Rapunzel und ihren Märchenprinzen, der sie aus der Gefangenschaft gerettet hat, um sich und ihr „Happy End“ feiern zu lassen. Gemeinsam treten sie Hand in Hand auf den Balkon und winken der jubelnden Menge zu. Ach ja, Märchen… In der Realität ließ Kaiser Wilhelm I. den Turm Mitte des 19. Jahrhunderts erbauen und nutze ihn zum einen als Gästehaus und um hier Kunst und andere Objekte aufzubewahren. In den Sommermonaten (laut Webpage des Flatowturms zwischen Anfang Mai und Ende Oktober) können Besucher an den Wochenenden die Aussicht von der Aussichtsplattform genießen.

Kaum habe ich mich an Rapunzels Turm sattgesehen, kommt schon das nächste Gebäude in Sichtweite, das meine Neugier weckt: die Gerichtslaube. Sie steht auf dem nächsten Hügel und bietet einen wunderschönen Ausblick auf den Tiefen See, an deren Ufer sich trotz Winterstimmung einiges an Leben tummelt. Stockenten und Blesshühner schwimmen seicht ihre Kreise oder haben es sich auf einem ins Wasser ragenden Baumstamm gemütlich gemacht, genießen die wenigen und leider nicht wärmenden Sonnenstrahlen. Eine Gruppe Gänse fliegt, artig in Formation versteht sich, über uns hinweg.
Die roten Backsteine der Gerichtslaube leuchten fast ein wenig in der Wintersonne, die sich gerade durch die dichte Wolkendecke kämpft. Die runden Bögen der Laube werfen Schatten auf die Steine. Flanierte hier das Kaiserpaar entlang, nachdem sie ihre Gäste im Flatowturm besucht haben? 🙂

Viel zu sehen im Park Babelsberg

An historischen Gebäuden mangelt es dem Park Babelsberg wahrlich nicht. Von der Gerichtslaube ist schon das nächste Highlight in Sicht: das Schloss Babelsberg und die vorgelagerten ehemaligen Pferdeställe. Natürlich haben alle Gebäude inzwischen eine neue Nutzung gefunden; ob als Lagerstätte, Restaurant oder Anwaltskanzlei. Trotzdem sind sie hübsch anzusehen und der Park, gerade um das Schloss herum, ist schön gestaltet.

Vom Park aus bietet sich immer wieder freier Blick auf die Glienicker Brücke. Im Grunde eine recht unscheinbare Verbindung über die Havel hinweg – wäre da nicht die Geschichte von Ost und West, von der innerdeutschen Grenze, von heimlichen Treffen der Geheimdienste beider Seiten. Nicht zuletzt der Film „Bridge of Spies – Der Unterhändler“ von Steven Spielberg mit Tom Hanks hat die optisch etwas unscheinbare Brücke weltberühmt gemacht. Vom Park aus betrachtet fallen die unterschiedlichen Grautöne auf, durch die die ehemalige innerdeutsche Grenze noch heute genau auszumachen ist. Die verschiedenen Grautöne sollen allerdings keine Absicht gewesen sein: Die Arbeiter der damaligen DDR hätten die Farbe allerdings verdünnen müssen, schlicht aus Materialmangel. In der damaligen BRD wurde die Farbe hingegen unverdünnt aufgetragen und ist somit dunkler im Ton 🙂

Durch Klein Glienicke und die berühmte Glienicker Brücke

Mein Weg führt mich durch Klein Glienicke. Das kleine Wohnviertel mit teils urig verschnörkelten Häusern gehörte in Zeiten der deutsch-deutschen Teilung zur DDR, die unweit entfernt gelegenen Parkanlagen und Schlösser jedoch zu West-Berlin. Die Bewohner der Enklave hatten lediglich Zugang über Babelsberg und die Parkbrücke zu ihrem Wohngebiet, wie ich auf dem Informationsschild lese. Dieser Spazierweg ist Teil des Mauerweges und erhält die Erinnerungen an dieses Kapitel der deutschen Geschichte.

Muss ganz schön einsam, zumindest ruhig hier gewesen sein, damals vor 1989 – und manchmal  vermutlich auch etwas unheimlich, vielleicht bedrohlich? Wie „normal“ leben, wenn die so drastisch gesicherte Grenze direkt vor der Haustür entlangläuft? Wenn Besucher einen Passierschein benötigten, um für ein Stück Kuchen und einen Kaffee vorbeischauten. Wenn man überwacht wird, damit im eigenen Keller kein Fluchttunnel zum Westen gegraben wird. Selbst wenn das dennoch gemacht und erfolgreich verlaufen ist. Auch das steht auf dem orangefarbenen Infoschild.

Viel Verkehr herrscht nicht auf der berühmten Glienicker Brücke. Problemlos kann ich mehrmals die Straßenseite wechseln, mir die Kolonnaden ansehen, die auf Potsdamer Seite an der Brückenzufahrt stehen. Sie wurden aufwendig restauriert und sind heute Teil des UNESCO Welterbes in Potsdam und Berlin, zusammen mit den Parks und Schlössern beider Städte.

So langsam sind Füße, Beine und Gesicht eiskalt. Die Sonne hat sich inzwischen wieder ganz hinter die Wolken zurückgezogen. Der Nachmittag neigt sich dem Ende entgegen, es wird noch kälter. Schnellen Schrittes, um mich so warm wie möglich zu halten, geht es zurück Richtung Potsdamer Innenstadt. Ein Stück davon am Ufer des Tiefen Sees, vorbei an Villen und imposanten Wohnblocks.  Auch Wolfgang Joop soll hier ein Domizil besitzen.

Den Rest geht es parallel zur Straßenbahn in die Innenstadt. Aufwärmen bei einer schönen Tasse Tee und einem Nougatkringel 🙂

Mehr Impressionen findest Du in meinen Fotowelten; als Unterpunkt von „unterwegs in Deutschland“. Viel Spaß beim Stöbern!