Schon der sechste Tag unserer Reise und der Wetterbericht zeigt immer noch Wolken und Schneetreiben mit geringer Sicht. Auch in Honnigsvåg, unserem letzten längeren Aufenthalt, fielen dicke Flocken vom Himmel, die der Wind fröhlich verteilte, einem in Augen, Ohren und Nacken pustete. Zwar sind für heute Abend moderate Nordlichter angesagt – aber bei wolkenverhangenem Himmel dringen die grün, violetten und blauen Lichter wohl kaum zu uns durch.

Immer wieder ist die Aurora Borealis Gesprächsthema. Wann werden wir wohl eine sehen? Ob es die nächsten Tage aufklaren wird? Ob wir auf dieser Reise überhaupt welche zu sehen kriegen?

Beim Abendessen, das Servicepersonal ist gerade an unserem Tisch und bietet uns norwegischen Akvavit an, bricht plötzlich Panik aus. Bei der Durchsage, dass Steuerbord Polarlichter zu sehen sind, hält es kaum jemanden im Restaurant. Wäre ich nicht selbst dabei, würde ich es für ein Märchen, im besten Falle für eine hochgradige Übertreibung halten, aber die Leute fliehen geradezu aus dem Raum. Servietten fliegen zu Boden, volle Teller werden achtlos stehen gelassen und langsamere, vor sich gehende Passagiere regelrecht aus dem Weg geschubst. Ein Strom nordlichtgeiler Urlauber ergießt sich über das Schiff, strömt die Treppen nach oben, raus an Deck.

Keine Frage, auch ich entscheide mich gegen den norwegischen Schnaps und für die Chance, meine ersten Polarlichter zu sehen! So unaufgeregt und dennoch so schnell wie möglich hole ich Jacke und Kamera aus der Kabine. Zum einen möchte ich bei minus sieben Grad nicht frieren, zum anderen möchte ich natürlich Fotos machen. In der Eile passiert es dann: erst fällt mir, noch in der Kabine, meine Kamera auf den Boden – danach zeigt das Display ständig Error an. Ach Du Schreck! Ausgerechnet jetzt! Dann rutsche ich auf dem eisigen Untergrund an Deck aus, kann mich gerade noch am Geländer festklammern. Einige blaue Flecken werden mich sicherlich die nächsten Tage an mein erstes Polarlicht erinnern. Was für eine Aufregung für ein paar bunte Lichter am Horizont! 🙂

An Deck – und auch auf dem Weg dorthin – immer noch hektisches Geschiebe und Geschubse. Die Leute benehmen sich, als ginge es um den letzten Platz im Rettungsboot! Irgendwann stehe auch ich am Bug und starre in den vom Vollmond erleuchteten Nachthimmel. Polarlichter? Wo jetzt bitte genau? Etwas Grünes kann ich nicht ausmachen. Ich orientiere mich an der Ausrichtung der vielen Kameras und richte meine Augen in genau diese Richtung: In der Tat, ein leicht grünlicher Schimmer ist am Himmel erkennbar. Recht schwach und eher ein rundlicher Fleck. Auf den vielen Fotos und Film-Dokumentationen, die ich zuvor vom Nordlicht gesehen habe, sahen die grünen Lichter deutlich spektakulärer aus. Es scheint heute nur eine schwache Aurora Borealis zu sein.

Ich muss wohl ein wenig Geduld mitbringen. Erst einmal durchatmen und vernünftige Schuhe aus der Kabine holen. Auf dem spiegelglatten Deck schlag ich sonst noch einmal hin und ein zweiter Schlag würde meiner Kamera vermutlich den Rest geben. Momentan sagt sie sowieso nur „Error“… Wenn ich schon einmal in der Kamera bin, ziehe ich gleich meine Schneehose an. Wer weiß, wie lange die Polarlichter zu sehen sind. Könnte eine lange Nacht werden.

Auf meinem zweiten Weg an Deck kommen mir schon die ersten Passagiere entgegen. Das war ja ein kurzes Vergnügen! Gespannt starre ich in den Nachthimmel: Ist denn nirgends mehr der grüne Schleier zu sehen?? Mit bloßem Auge ist es wirklich schwer, das Nordlicht auszumachen. Doch die Kamera – der kurze Gang ins Warme hat sie ein Stück weit zur Besinnung gebracht, der Bildstabilisator ist offenbar hin, zu ein paar Fotos kann ich sie dennoch überreden – zeigt mir, dass der weiße Wolkenschleier in Wahrheit ein Polarlicht ist, das sich klammheimlich über den Himmel zieht. Auf dem Monitor zeichnet sich ein grünes Band ab.

Polarlicht StartZur Seite raus wird das mit längeren Verschlusszeiten meiner Kamera – viel ist sowieso nicht möglich, da das Schiff recht zügig unterwegs ist – schwierig, also bahne ich mir einen Weg zum Heck. Hier stelle ich mein Stativ auf und rede weiter freundlich auf meine Kamera ein. Es tut mir schließlich leid, dass ich sie im Eifer des Gefechts zu Boden geworfen habe. Sie zeigt zum Glück ein wenig Einsicht, lässt zwar keine Veränderungen am Bildstabilisator zu, verhilft mir aber zu meinen ersten Fotos vom Nordlicht. Das verändert schnell seine Form und vor allem seine Intensität. Mal ist nur ein schmaler Streifen zu sehen, der mit bloßem Auge leicht für eine Schleierwolke gehalten werden könnte, mal flackern grüne Zacken auf, die sich weit nach oben ziehen und zu den Seiten ausbreiten. Dann wird es wieder ganz schmal und zieht sich weit über den Horizont.

Sicher, es gibt sicher spektakulärere Nordlichter. Aber für das erste Aurora-Borealis-Erlebnis schon sehr schön. Und: vielleicht haben wir die nächsten Tage wieder Glück und sehen noch mehr und noch schönere Exemplare der magischen Lichter. Die Daumen bleiben gedrückt!